Chronik

Die Geschichte des Cappenberger Schützenwesens

1576 – Ein Schnadegang mit Folgen

1576 – Ein Schnadegang mit Folgen

Zum ältesten Brauchtum Cappenbergs gehört das Schützenwesen. Ohne eine Jahreszahl auf unsere Fahne zu schreiben, wissen wir, dass die Traditionen des Schützenvereins weit in die Vergangenheit zurück reichen, obwohl die Wurzeln des Cappenberger Schützenwesens im Dunkel der Geschichte verborgen liegen. Hier und da findet sich in alten Urkunden und Akten jedoch ein Hinweis. Unser ehemaliger Pfarrer Schnieder schrieb 1949 in seinem Buch über Cappenberg, dass die Cappenberger Stiftsherren zur Bevölkerung der Nachbarschaft gute Beziehungen unterhielten und dass der ganze Konvent das Schützenfest mitmachte, wenn der Propst in seinem Beifang, d.h. seinem Gerichtsbezirk Übbenhagen den Vogel schießen ließ. Ein solches Schützenfest ist erstmals in den Akten der Cappenbergischen Beifänge erwähnt. Dort heißt es: „Anno 1576 am 15. Juli hefft die die erwürdig edell und eruntfest Herr Goddert von Velmede, Probst zu Cappenberg, den groten Cappenbergschen Vogel lathen scheiten und den folgenden Mandage den Cappenbergschen Bifangk durch die wurdigen, och edlen und eruntfesten Herrn Rembert von Schorlemer, Prior, Wolther von Havekenscheid, Bitter von Galen, Cannoichen, Geharvten Afferdink, Schriver, und etlicher mehr Diener zum Cappenberghe und semptlichen Buhren up den Übbenhagen umbzehen und ba de olden Snahen etzliche neuwe houven lassen. Wegen des Drosten zu Werne sind gewesen Conradus Schomecher, Amtschriewer und Steffen Blanke-Johan, Werne, und wegen Joests von Burhen, Herrn zum Davensberch, Johann von Werne sein Stalknecht, welche durch den Praweste darzu verschrewen.“

Das Schützenfest fand im Zusammenhang mit einem Schnadegang, d. h. einer Grenzbesichtigung des Cappenberger Beifanges statt. Über die Schnadegänge des Cappenberger Beifanges sind mehrere Protokolle im Stiftsarchiv vorhanden. Ein weiteres Schützenfest findet aber leider keine Erwähnung mehr. 

1830 – Die ausgefallene Revolution endet als Schützenfest

Erst aus dem Jahre 1830 gibt es wieder Neuigkeiten über das Schützenwesen. Nachdem die Revolution, die Belgien die Unabhängigkeit von den Niederlanden erstritt und in Frankreich König Karl X. seinen Thron kostete, auch in Deutschland zu Unruhen geführt hatte, fürchtete man sich auch auf Cappenberg vor der revolutionären Bewegung. In Bork waren in Wirtshäusern lose Reden geführt und die Drohung ausgebracht worden, das Schloss Cappenberg solle erstürmt, geplündert und die großen Bauern an den Giebeln ihrer Höfe aufgehängt werden. Der Freiherr vom Stein regte sich hierüber sehr auf und rief die Übbenhagener mit geladenen Gewehren zur Verteidigung zusammen. Später stellte sich heraus, dass nur von einzelnen Betrunkenen beim Branntwein Drohungen ausgestoßen worden waren. Nach diesen Ereignissen reiste Stein nach Nassau ab. Die Übbenhagener haben ihre Gewehre, die sie zur Verteidigung des Dorfes glücklicherweise nicht einsetzen mussten, nicht gleich wieder in den Schrank gestellt und eingemottet, sondern feierten darauf unter Leitung von Johann Heinrich Kreutzkamp als Schützenoberst ihr erstes Schützenfest nach der Klosterzeit. Poock berichtete schon am 2. August 1830 über den Festverlauf nach Nassau. Der Oberförster tat auftragsgemäß den Königsschuss für seinen Herrn. Nach Erringung der Königswürde spendete er der Tradition entsprechend eine Tonne Bier und drei Taler. Die hiermit bestrittene Feier verlief dann wohl in allgemeiner Freude für die Dorfgemeinschaft. Herkömmlicher Weise erhielt der König einen Hut. Poock schrieb daraufhin an Stein: „Die Teilnehmer an dem Feste haben sich gut betragen und nicht allein recht oft Trinksprüche ausgebracht, sondern auch das Gemälde bei Herrn Kreutzkamp mit schönen grünen Kränzen umwunden und behangen...” Poock vertrat seinen Herrn dann auch während des Festes bat ihn in dem erwähnten Schreiben: „Indem nun dieser Huth mir sehr gut passt, so habe ich Euer Exzellenz um die huldreiche Erlaubnis bitten wollen, solchen zu hochdieselben Ehre tragen zu dürfen.” Stein gestattete dies. Über die Wahl einer Königin ist nichts bekannt. 

Das Schützenwesen hat sich etabliert

Das nächste Schützenfest von dem wir Kenntnis haben, fand im Jahre 1842 statt. Für dieses Schützenfest ist ein handgreifliches Beweisstück vorhanden, und zwar in Form eines silbernen Löffels, der sich auf dem Hofe Dahlkamp befindet und die Inschrift trägt: „Wilhelm Dahlkamp, Schützenkönig 18.7.1842“

Der damalige Hofbesitzer Aloys Dahlkamp berichtete 1967 aus der Überlieferung seiner Familie: „Es handelt sich um meinen Großvater Wilhelm Dahlkamp (geb. 1824, gest. 1895). Er hatte als junger Schütze von 18 Jahren das Pech, unplanmäßig den wohl nicht besonders schussfesten Vogel herunterzuholen. Da soll Wilhelms Vater zu seinem erschrockenen Filius gesagt haben: „Et is passeert, et wiätt auk dörhollen!” Er gestattete seinem minderjährigen Sprössling jedoch nicht unter den Schönen des Dorfes Umschau zu halten, sondern bestimmte ihm die ältere Schwester Gertrud zur Königin, obwohl er als Vater dadurch auch den üblicherweise auf die Königin entfallenen Kostenanteil zu tragen hatte. Über die folgenden Cappenberger Schützenfeste konnte nur wenig in Erfahrung gebracht werden. Aus Anzeigen in dem damals einmal in der Woche erscheinenden „Lüdinghauser Kreisblatt” ist lediglich zu entnehmen, daß solche in den Jahren 1856, 1860, 1863 und 1868 bei Kreutzkamp stattgefunden haben. Die Gastwirtswitwe Henriette Kreutzkamp beantragte am 4. August 1860 die Genehmigung zur Errichtung eines Scheibenstandes auf einem Grundstück, das bisher als Wiese genutzt wurde. Den Scheibenstand genehmigte man unter Sicherheitsauflagen. So sollten keine Trinkgelegenheiten vorhanden sein, vor allem durften keine geistigen Getränke während des Scheibenschießens gereicht werden. Wie diese „trockene Veranstaltung“ als Schützenfest ablief, ist dem Dunkel der Geschichte nicht mehr zu entreißen. Aus dem Jahr 1863 liegt ein Antrag der Bauerschaft Übbenhagen beim Amt Bork vor, ein Schützenfest bei Kreutzkamp zu feiern. Die Genehmigung wurde ausgesprochen, gleichzeitig dem „Herrn Gastwirth Kreutzkamp die polizeiliche Erlaubnis zur Veranstaltung der Tänzerei in ihrem Hause” erteilt. Somit wurde nach dem Scheibenschießen nicht im Festzelt sondern im Gasthaus Kreutzkamp weitergefeiert.

Der Cappenberger Schützenkrieg von 1876

Es folgt in der Reihe der Schützenfeste das denkwürdige Jahr 1876, in dem der große „Schützenkrieg“ in Cappenberg stattfand. Schon immer ging unter den älteren Einwohnern die Mähr, dass einmal Streit gewesen sei und in einem Jahr zwei Schützenfeste stattgefunden hätten; genaueres wusste man aber nicht. Als nun den Dingen auf den Grund gegangen wurde, stellte sich folgendes heraus: Bei den Vorbereitungen zum Schützenfest 1876, das vom regulären Verein auf den 16. und. 17. Juli festgelegt worden war, muss es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sein. Es ist anzunehmen, dass die Wahl des Festlokals die Veranlassung zum Streit der ”feindlichen Brüder” gewesen ist. Auf der einen Seite stand Engelbert Kreutzkamp mit seinen wohlerworbenen Rechten am Schützenfest, die er nun erstmals nach vielen Jahren an einen anderen abtreten sollte, und hinter ihm die alteingesessenen Bauern, Kötter und Handwerker. Auf der anderen Seite der ehrgeizige, streberische, von der gräflichen Verwaltung abhängige Hütwohl, in dessen Lokal „Cappenberger Hof“ vorzugsweise die ”zugereisten” Arbeiter und Angestellten der neuen Brauerei und des Schlosses verkehrten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch der uralte Gegensatz zwischen Ostik und Übbenhagen mit hineingespielt hat. Fest steht jedenfalls, dass die Rebellen in der Nähe der Brauerei auf dem Langen Land eine eigene Vogelstange aufrichteten, ihre Rebellenfahne hissten und im Lüdinghauser Kreisblatt bekanntgaben: Das Schützenfest auf Cappenberg findet am 2. und 3. Juli bei Hütwohl statt, d.h. 2 Wochen vor dem ursprünglich festgelegten Termin.

Schützenfest 1879

Der Streit und die Spaltung von 1876 hatte für das Cappenberger Schützenwesen unheilvolle Folgen. Es fand zwar drei Jahre drauf, im Jahre 1879, noch ein Schützenfest statt, aber dann war 20 Jahre Pause. Vieles spricht für die Annahme, dass das Fest von 1879 hauptsächlich nur von einer der streitenden Parteien, und zwar von der Brauerei-Gruppe, bestritten worden ist. Das ”Schützenfest mit Concert und Tanz” fand laut Zeitungsanzeige statt ”am Montag, den 7. und Dienstag, den 8. Juli für die Bewohner von Cappenberg, Übbenhagen, Ostik und Umgebung im Cappenberger Hof bei Herrn W. Hütwohl”. Schützenkönig wurde der 29 Jahre alte Schreinermeister Anton Hauschopp mit seiner jungen Frau Maria Geb. Lahr. Die Regentschaft von König Anton muss aber von den Schützen, die bei der Stange geblieben waren, nicht die rückhaltlose Zustimmung gefunden haben. Gibt es doch zu denken, dass beim darauffolgenden Schützenfest der Programmpunkt ”Abholung des alten Königs” fehlt. Anton Hauschopp starb erst 1916. Die noch lebenden Festteilnehmer von 1899 konnten sich auch später nicht an ein Auftreten von Anton Hauschopp als ”alter König” erinnern.

Schützenfest 1899

20 Jahre waren seit dem letzten Schützenfest vergangen. Eine neue Generation war herangewachsen. Die damaligen ”Zugereisten” waren einheimisch geworden und ihre Kinder hatten mit denen der ”Ureinwohner” die Schulbänke gedrückt. Auch im ”Cappenberger Hof” hatte ein neuer Wirt Einzug gehalten.

Schützenvereinvorsitzender wurde Heinrich Roggenland, von Beruf Chef des gräflichen Marstalles. Ihm helfend zu Seite standen Rentmeister Orth und Reinteiinspektor Brandes von der gräflichen Verwaltung. Erstmalig liegt hier von einem Cappenberger Schützenfest auch ein Programm vor. Statt des alten Königs präsidierte am ersten Ballabend Philipp Wischeler, der die Krone abgeschossen hatte und damit Kronprinz wurde. Philipp Wischeler erwählte, wohl nicht zuletzt aus diplomatischen Gründen, die Tochter des Gastwirts Kreutzkamp zur Kronprinzessin, während das Fest beim Kollegen Lönne stattfand. Über den weiteren Festverlauf berichtete das Lüdinghauser Kreisblatt: ”Cappenberg, den 28. Juni 1899. Bei dem hier bei Herrn Lönne abgehaltenen Schützenfeste errang beim Königsschießen Herr Gutsbesitzer Alois Schulze Wischeler die Königswürde. Derselbe erwählte Frl. Mariechen Kreutzkamp zur Königin. Herr Renteiinspektor Brandes wurde Kanzler und Herr Schulze Altcappenberg Hofmarschall. Das Fest verlief in schöner Weise und es war die Verpflegung seitens des Festwirtes eine vorzügliche.” 

Schützenfest 1906

Die Regentschaft des Königspaares Alois Schulze Wischeler und Mariechen Kreutzkamp dauerte bis 1906. Dann wurde sie durch Anton Heuser und Frau Henriette Struckmann geb. Schulze Berge gent. Flügel abgelöst. Sie war die Schwiegertochter der Schützenkönigin von 1842. Als Oberst kommandierte der Gastwirt F.W. Lönne, Major war wieder Jücker aus Langern. Als Beleg für dieses Schützenfest wurde nur eine Eintragung im landwirtschaftlichen Arbeitstagebuch von Aloys Schulze Wischeler gefunden. Hier wurde unter dem 8. Juni (das Fest fand am 11. und 12. Juni bei Aschhoff statt) der Einkauf von 75 Pfund Fleisch bei Jakob Levy in Lünen und für 80 Mark Waren in einem Dortmunder Feinkostgeschäft ausgewiesen. Es scheint also, dass das Schützenbataillon bei der Abholung seines alten Königs nicht gerade schlecht gelebt hat. Sonst sind von diesem Schützenfest keine besonderen Vorkommnisse bekannt. Nur von Frau Franziska, der „besseren Hälfte“ des Schützenkönigs, wird erzählt, dass sich die Entwicklung der Dinge sehr ungnädig aufgenommen und geschmollt habe. Tagelang habe sie nicht mit seiner Majestät gesprochen bis dann schließlich beim Frühstück das erlösende Wort fiel; denn als er mit der Hand nach einer Wespe schlug, brach sie das Schweigen und sagte: „Scheit se doch daut, du büst doch nu in`t Scheiten Mester wourden!“

Schützenfest 1911

Zwei gute Freunde, Josef Schulze Wethmar-Altcappenberg und Franz Kreutzkamp nahmen die Organisation des Schützenfestes als Oberst und Oberstleutnant in die Hand. Sie nahmen ihre Sache ernst. Hoch zu Roß ritten sie durch das Dorf, um sich vom Wohlergehen der ihnen unterstellten Schützen zu überzeugen. Eines Tages ritten sie bei solch einer Inspektionsrunde zu einem Satteltrunk bis vor die Theke von F.W. Lönne. Als die Gäste, unter denen auch mehrere Schützen waren, wegen der Stubenreinheit der Pferde Bedenken äußerten, kam es zu einer Wette: Derjenige, dessen Gaul sich als erster schlecht benimmt und den Fußboden verunreinigt, zahlt 10 Flaschen Sekt! Kreutzkamp hatte längst einem Schützen aus seiner Kompanie einen Wink gegeben, und als sein Gaul Anstalten machte, den Schwanz zu heben, war der schnell mit seinem Hut zur Hand, und Altcappenberg verlor die Wette. Das Fest fand statt in den Lokalitäten und angebautem Festzelt des Herrn Max Aschhoff.

Der 1. Weltkrieg und die Folgen der Revolution von 1918

Am 28. Juni 1914 wurde das österreichische Thronfolgerpaar bei einem Besuch der bosnischen Hauptstadt Sarajewo Opfer eines Attentats durch den serbischen Nationalisten Gavril Princip. Am 28. Juli 1914 erfolgte nach vergeblichen diplomatischen Bemühungen die politische Krise zu bewältigen, die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Aufgrund der bestehenden Bündnissysteme befand sich wenige Tage später ganz Europa im Kriegszustand. Deutschland stand an der Seite der Österreicher, während Russland, England und Frankreich zu den Verbündeten Serbiens zählten. Nach der russischen Mobilmachung erklärte Deutschland den Krieg und marschierte in das neutrale Belgien ein, um einem Angriff der Franzosen auf das Ruhrgebiet aus dieser Richtung zuvorzukommen. Die Bevölkerung war von einem patriotischen Rausch ergriffen. Der Gemeindevorsteher von Bork, Aloys Schulze Wischeler, fuhr im Ponywägelchen, kutschiert von seinem Sohn Fritz, von Hof zu Hof, um die Mobilmachung zu verkünden und die Männer aufzurufen, sich bei ihren Armeeeinheiten zu melden. Bei den ersten Siegesnachrichten der deutschen Armeen erhielten die Kinder schulfrei. Man erfuhr jedoch nicht nur vom Vormarsch der Truppen, sondern bald kamen auch die ersten Verlustmeldungen. Schließlich erstarrten die Fronten zum Grabenkrieg, der entgegen aller anfänglichen Siegeserwartungen vier Jahre andauern sollte. Um dem durch die vielen Einberufungen zum Kriegsdienst eingetretenen Mangel an Arbeitskräften zu begegnen, wurden sowohl in der Industrie als auch in der Landwirtschaft Kriegsgefangene eingesetzt. Diese wurden in hierfür eigens eingerichteten Lagern untergebracht. Auch auf dem Steinkuhlenhof, bewirtschaftet von Schulze Wischeler, befand sich ein solches Lager. Von hier aus gingen die Gefangenen z. B. im Sommer 1917 zu 15 Höfen. Pro Mann waren 60 Pf. zu bezahlen. Das Lager stand unter militärischer Aufsicht. Wegen der vielen Felddiebstähle richtete die Gemeinde einen Flurschutz ein. Dieser bestand aus zwei Mann, die mit einem Revolver bewaffnet waren. Durch die Blockade der Alliierten bedingt, kam es im Winter 1917/18 zu großen Engpässen in der Lebensmittelversorgung, so dass vom “Steckrübenwinter” gesprochen wurden. Viele Menschen, geschwächt durch die mangelnde Ernährung fielen der Grippeepidemie zum Opfer.

Am 9. November 1918 brach die Revolution aus. Kaiser Wilhelm II. ging nach Holland ins Exil und der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger unterzeichnete am 11. November ein Waffenstillstandsabkommen. An diesem Tag marschierte eine große Gruppe von Sozialdemokraten mit einer roten Fahne nach Bork und besetzte das Amtshaus. Bis zum Mai 1919 wurde die Amtsverwaltung in Bork jetzt von einem Arbeiterrat kontrolliert. Die Ereignisse im November 1918 waren trotz der Abschaffung der Monarchie im Reich und in den Ländern nach aller historischen Erfahrung und im eigentlichen Sinne des Wortes keine Revolution. Das geht schon alleine aus dem Umstand hervor, dass schon die erste Regierung, nämlich der Rat der Volksbeauftragten, nicht rein sozialistisch war. Schließlich wirkte unmittelbar unter der neuen Regierung, die Kontinuität des wichtigsten Verwaltungsapparates wahrend, das alte konservative Beamtentum weiter. Reichskanzler Ebert, Stabschef Groener und der Oberkommandierende Hindenburg strebten nach der Einordnung des heimkehrenden Heeres als einzigen Machtfaktor in die neue Staats- und Gesellschaftsform. Friedrich Ebert wurde dann zum Reichspräsidenten gewählt und das erste Reichskabinett, die „Weimarer Koalition“ aus SPD, DDP und ZENTRUM gebildet.

Der rote Sturm auf Cappenberg

Während im Februar 1919 die Nationalversammlung in Weimar über eine neue Verfassung beriet, kam es in Mitteldeutschland, im Ruhrgebiet, in Hamburg, Bremen und in München zu kommunistischen Unruhen, die zeitweise den Bestand des Reiches gefährdeten. Andererseits wurde die neue Staatsform auch von vielen Konservativen, unter ihnen Offiziere und Soldaten des ehemaligen kaiserlichen Heeres abgelehnt. Nach Abklingen der ersten Unruhen hielt es die Gemeindevertretung im Spätsommer 1919 für sinnvoll, eine auf Freiwilligkeit basierende Bürgerwehr ins Leben zu rufen. Diese hatte in der ganzen Gemeinde eine Stärke von ca. 300 Mann und bestand aus den Abteilungen Bork und Cappenberg und sollte dem Schutz der Bürger und der Bauernhöfe vor stehlenden und plündernden Spartakisten dienen. Kommandeur dieser Truppe war der Brennereibesitzer Franz Kreutzkamp, der bis 1917 als Reservehauptmann beim 7. Westfälischen Feldartillerie-Regiment stationiert gewesen war. Als Leiter des militärischen Einsatzes amtierte der Schreiner Josef Röttger, der beim Infanterie-Regiment Nr. 13 gedient hatte und im Kriege wegen seiner hervorragenden Bewährung zum Offiziersstellvertreter aufgestiegen war. Heinrich Langkopf, ein wohlhabender Kaufmann aus Hannover, der kurz zuvor die stillgelegte Brauerei Cappenberg erworben hatte, führte die „Kriegskasse“ und bezahlte, da ihm das Kassieren von Mitgliederbeiträgen zu lästig war, den Bedarf an flüssiger und trockener Verpflegung zumeist aus eigener Tasche. Für Waffen, Munition und gestempelte Armbinden sorgte die Verwaltung. Es standen Karabiner, eine schweres und ein leichtes Maschinengewehr zur Verfügung. Durch regelmäßigen Streifendienst wurde bald erreicht, dass im Cappenberger Raum die nächtlichen Plünderungen aufhörten. Die Gründung der Bürgerwehr führte vor allem in Selm-Beifang zu Missfallensäußerungen. Man schien zu glauben, dass es sich um konterrevolutionäre Bestrebungen handele. Eines Nachmittags rückte eine größere Anzahl bewaffneter Männer aus Selm in Bork ein und besetzte die Ortsausgänge. Hiervon unterrichtet, rückte die Cappenberger Bürgerwehr auf Kreutzkamps Kremser gänzlich unkriegsmäßig auf Bork vor. Als auf die Cappenberger geschossen wurde, feuerten diese zurück. Dabei wurde der Selmer Hermann Fischer tödlich getroffen. Seine Kameraden flohen in aller Eile. Für die Cappenberger Bürgerwehr blieb nichts anderes zu tun, als den erfolgreichen Feldzug zu feiern. Sie kam so in den Ruf ein gefährlicher Haufen zu sein.

Wolfgang Kapp, Generaldirektor der ostpreußischen Landschaft und Führer der reaktionären Vaterlandspartei, versuchte am 13. März 1920 die Reichsregierung zu stürzen. Unterstützt wurde er von höheren Politikern und Militärs. Aufständische Soldaten verschiedener Freikorps besetzten das Regierungsviertel in Berlin. Die Reichsregierung floh nach erst nach Dresden, dann nach Stuttgart und rief den Generalstreik aus. Nach vier Tagen brach der Putsch zusammen und die Anführer flohen ins Ausland. Im Gegensatz zu den kommunistischen Aufständischen des Jahres 1919, wurden die Teilnehmer des Kapp-Putsches nicht streng bestraft. Dies führte abermals zu einem Aufstand der Linken. Kernpunkte des Aufstandes waren in Mitteldeutschland das Gebiet Halle-Merseburg, das Vogtland und das Ruhrgebiet, mit dem Hauptquartier des Oberkommandierenden Josef Ernst in Hagen. „Chef des Stabes“ der dort agierenden „Roten Armee“ war ein Lehrer Stemmer. Der sozialdemokratische Reichswehrminister Noske suchte und fand Hilfe bei der Armee und den eigentlich illegalen Freikorps, die sich aus ehemaligen Offizieren und Studenten bildeten.

Kleinere Truppenteile wurden von den Linken an der Ruhr geschlagen und vollständig aufgerieben, so auch das Freikorps Lichtenschlag, dessen Formationen im Raum Dortmund/Herdecke/Wetter standen. Seine Vorräte an Waffen, Munition und Versorgungsgütern wurden eine willkommene Beute der Roten. Auf den Rathäusern der Städte Bochum, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen und Recklinghausen wehten rote Fahnen. Auch Lünen lag im roten Machtbereich. Von den Stadtverwaltungen wurden riesige Geldbeträge zur Besoldung der Rotarmisten erpresst. Inzwischen hatte die Reichswehr jedoch, verstärkt durch entkommene Einheiten und studentische Freiwillige, das Industriegebiet umstellt. Im Nordabschnitt, der von Wesel bis Werne reichte, führte General von Watter, dessen Hauptquartier sich in Münster befand, das Kommando.

Die Regierung zögerte aber noch unter dem Einfluss ihrer SPD-Mitglieder, um Blutvergießen zu vermeiden, Truppen gegen die rebellierenden Genossen einzusetzen. Innenminister Severing versuchte vergeblich durch Verhandlungen und mit dem sogenannten „Bielefelder Abkomnen“ eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeizuführen. Die Führer der Roten hatten ihre Leute jedoch nicht mehr in der Hand, so dass die Ausschreitungen weitergingen. Am 30. März 1920 forderte General von Watter mit Unterstützung der Regierung in einem Aufruf, der ohne Erfolg blieb, letztmalig die uneingeschränkte Anerkennung der Staatsautorität. Am Karsamstag, dem 3. April 1920, gab die Regierung die Erlaubnis zum Vormarsch auf ganzer Front.

Im Gefolge des Kapp-Putsches war nun Ende März 1920 die Rote Armee bis nach Lünen vorgestoßen, wo sie zunächst Halt machte. Doch dann hatte sie wohl Order bekommen, weiter ins Münsterland vorzurücken. So erschien den am Dienstag der Karwoche eine Abteilung der Roten Armee plötzlich und unerwartet auf Cappenberg. Von der Bürgerwehr waren nur zwei Mann auf Streife. In der kritischen Phase machten die beiden gerade Pause im Hause der Braut des einen, und als sie wieder herauskamen, fanden sie Cappenberg besetzt. Die rote Einheit war einigermaßen diszipliniert. Ihre Führer hatten politische Ziele und billigten die wilden Plünderungen nicht. Die Bürgerwehrleute versteckten ihre Waffen und sahen mit den Händen in den Taschen friedlich zu, wie die Spartakisten sich in Stärken von 100-120 Mann auf die Bauernhöfe verteilten, um Nachtquartier zu beziehen und sich vor allen Dingen satt zu essen. Von den Bauern wurden sie den Umständen gemäß gut aufgenommen und verpflegt. In einem Falle wurde ihnen sogar ein ganzes Schwein aufgetischt, das zufällig ohne Gewaltanwendung das Zeitliche gesegnet hatte. So verlebte Cappenberg trotz der „feindlichen“ Besatzung eine ruhige Nacht. Am Mittwochmorgen standen die Rotarmisten noch einige Stunden tatenlos und unschlüssig herum; dann rückten sie ebenso unerwartet, wie sie gekommen waren wieder ab.

Es ist anzunehmen, dass das Bekanntwerden des „Bielefelder Abkommens“ dies bewirkte, in dem die Lippe als vorläufige Demakrationslinie vorgesehen war. Unterdessen hatten die Truppen des Generals von Watter im südlichen Münsterland ihre Bereitschaftsstellungen bezogen. In unserem Raum lag der vorgeschobene Posten auf dem Hof Schulze Bliesing zwischen Südkirchen und Cappenberg. Cappenberg lag nach dem Abzug der Rotarmisten im Niemandsland. Die Bürgerwehr nahm daher ihren Streifendienst wieder auf.

Die Kunde von der erneuten Mobilisierung der Cappenberger erregte die Begehrlichkeit einer anderen, aus Mengede stammenden, roten Einheit, die die verhassten Cappenberger ausheben und sich vor allem in den Besitz ihrer Waffen setzen wollte. Das wiederum war den Cappenbergern verraten worden und so gab es am Mittwoch und am Gründonnerstagmorgen für die Bürgerwehr Vollalarm. Doch zunächst geschah nichts. Aber dann, am Karfreitag, als der größte Teil der Bürgerschützen nach zwei durchwachten Nächten in Ruhe gegangen war, setzten die Roten zum Sturm an. Die Angreifer waren durch einen ortskundigen Verräter, der vorübergehend als Kutscher beschäftigt gewesen war, über alle Vorgänge im Dorf unterrichtet. Nur zwei kleine Gruppen von je fünf bis sechs Mann verteidigten Cappenberg vom Weinberg und vom Quinberg aus. Die Weinberg-Gruppe mit Josef Röttger, Theodor und Josef Dierse und Heinrich Heckenkamp hielt eine Zeitlang stand und brachte dem Gegner Verluste bei. Doch dann musste sie sich vor der vielfachen Übermacht durch die Schrebergärten und den tiefen Graben längs der Allee zurückziehen. Einige von ihnen sahen noch, wie ihr damaliger Pfarrer Rohling, der wohl in seinem geliebten Obsthof beschäftigt gewesen war, sich ebenfalls mit fliegenden Rockschößen im Laufschritt in sein Pfarrhaus absetzte. Schlimmer erging es der Quinberg-Gruppe, die aus Heinrich Lettmann, Theodor Rötte, Hubert Dortmann, Josef Heuser und Josef Jücker bestand. Ein Teil der Rotarmisten hatte sich hinter der Tiergartenhecke und der Mauer längs der Varnhöveler Straße um das Schloss herum geschlichen und fiel der Quinberg-Gruppe in den Rücken. Ein Versuch der Männer, über die Schlossmauer und die Kegelbahn in den Schlosshof in das Schloss zu gelangen, erwies sich als zwecklos, weil auch der Schlosshof schon besetzt war. So mussten die Kämpfer sich, von allen Seiten umzingelt, ergeben. Die Gefangenen wurden, angeblich weil man sie mit Waffen angetroffen hatte, an der Stelle, wo sich früher das Osticker Drehtor befand, an die Mauer gestellt, um als Partisanen erschossen zu werden. Die Lage war bitterernst. Es wurden damals von beiden Seiten Greueltaten verübt. Als man jedoch den Kampfkommandanten herbeiholte, um den Befehl über die Exekution zu übernehmen, stutzte dieser plötzlich vor Heinrich Lettmann: „Mien Chott Henrich! Wat wilt se mit di maken?“ Zwei alte Kriegskameraden, die lange Zeit vor Verdun im Schützengraben gelegen hatten, hatten sich wiedererkannt. Wegen des unerwarteten Wiedererkennens wurde auf die Erschießung verzichtet. Aber der Kampf ging weiter, und die rote Streitmacht rückte entlang der Allee, die damals mit Obstbäumen bestanden war, in Richtung Kreutzkamp vor. Durch die Schießerei aufgeweckt, waren jetzt auch die in Ruhe befindlichen Bürgerwehrleute herbeigeeilt, um die Angreifer gebührend zu empfangen.. Aber zähneknirschend mussten Josef Röttger und seine Männer das Feuer einstellen, als sie sahen, dass die angreifenden Kommunisten die im Quinberg gefangen Kameraden mit erhobenen Händen als Schutzschilder vor sich hertrieben. Wild um sich feuernd kamen die Roten näher. Selbst auf Frauen und Kinder wurde geschossen. Da trat ihnen mutig Paul Aschhoff mit einem großen weißen Blatt Papier entgegen, auf dem man versprach und bat, das Feuer von beiden Seiten einzustellen. Nach der Kapitulation feierten die Roten ihren Sieg bei Kreutzkamp, mit dem Schnaps, den sie in der Brennerei erbeutet hatten. Die Gefangenen – Theodor Rötte hatte sich inzwischen in einem unbewachten Augenblick zwischen den Gebäuden verkrümelt – wurden mit einem Wagen des Gutshofes nach Lünen und in die Arrestzellen des alten Rathauses gebracht. Lettmann wurde schon gegen 10 Uhr von seinem roten Kriegskameraden heimlich befreit, die restlichen drei wurden während der Nacht wiederholt misshandelt und verhört, weil man in den beiden damals 20jährigen, Jücker und Heuser, verkappte „Noskeschweine“ vermutete. In einer spektakulären nächtlichen Gerichtssitzung wurden die drei Cappenberger wiederum mit Erschießung bedroht. Doch auch in dieser Bedrängnis erschien wieder ein alter Bekannter als Retter in der Not. Unter den Roten befand sich ein jüngerer Funktionär, der bei Meister Dortmann vor dem Krieg das Schmiedehandwerk erlernt hatte. Er setzte sich für seinen früheren Lehrherrn ein und erreichte, dass alle drei in ihre Zellen abgeführt und für den Rest der Nacht nicht weiter belästigt wurden. Als am nächsten Morgen bekannt wurde, dass die Reichswehr im Anmarsch sei, entstand im Rathaus Nervosität und die Gefangenen wurden mit dem Versprechen, nicht mehr gegen das Proletariat zu kämpfen, um 9 Uhr entlassen. Schon während der Kämpfe am Nachmittag war telefonisch und durch Boten von der in Südkirchen stehenden Reichswehr Hilfe angefordert worden. Diese durfte aber ohne Befehl nicht eingreifen. Gegen Abend wurde von der Führung der Bürgerwehr nochmals Theodor Dierse mit der Bitte um Hilfe in Marsch gesetzt. Als man in wiederum abschlägig bescheiden musste, kam ihm die rettende Idee: Er bat den wachhabenden Feldwebel, doch wenigstens ein Leuchtkugelsignal zu geben. So geschah es. Man gab ihm zwei Soldaten mit, die auf der Höhe bei Schemmann einige Leuchtkugeln abschossen. Da glaubten die Roten bei Kreutzkamp, die Reichswehr käme schon. Gegen 23 Uhr zogen sie sich daher schleunigst nach Lünen zurück. Hierbei gerieten sie noch in ein Feuergefecht mit der Bürgerwehr von Varnhövel, die –man auch um Hilfe angegangen hatte. Leider hatten die Varnhöveler dabei den Sohn des Gastwirts Heinrich Claas als Gefallenen zu beklagen. Cappenberg war somit schon vor Beginn des allgemeinen Vormarsches der Reichswehr in der Frühe des Karsamstages von der roten Invasion befreit.

Inflation und Ruhrkampf

Im Jahre 1871 wurde im ganzen Deutschen Reich die Mark als Einheit des Münzsystems eingeführt. Es gab Goldmünzen zu 10 und 20 Mark und Silbermünzen zu ½, 1, 2, 3 und 5 Mark. Die kleinen Scheidemünzen waren aus Nickel und Kupfer. Papier gab es nur für höhere Werte wie 100 und 1000 Mark. Der Wert der Mark war am Dollar orientiert und wurde mit 4,20 Mark berechnet. Diese Kurse hatten bis zum 1. Weltkrieg Bestand. Während des Krieges wurden die Gold und Silbermünzen durch Eisenstücke und Papiergeld ersetzt und der Wechselkurs der Mark verfiel. Am 15.11.1919 war der Dollar schon 40,70 Mark wert. Am 15.11.1920 kostete der Dollar schon 84 Mark und ein Jahr später 261 Mark. Nun setzte eine Geldscheinproduktion ein, die viele Druckereien Tag und Nacht beschäftigte. Die Scheine erhielten immer höhere Ziffern. Da der Mangel an kleinen Scheinen als Wechselgeld immer größer wurde, gingen manche Städte, Kreise und sogar Betriebe dazu über, für ihren Bereich Kleingeld, das sogenannte Notgeld, drucken zu lassen. Es gab auch Aluminiumgeld mit dem Bildnis des Freiherrn vom Stein. Von 1922 an verfiel der Wert des Geldes sprunghaft. Am 15.11.1922 stand der Kurs des Dollars bei 7515.

Nach dem politisch ruhigen Jahr 1922 wurden die Menschen Anfang Januar 1923 durch die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen überrascht. Als Begründung für diese Maßnahme wurde angeführt, dass Deutschland sich mit den im Versailler Vertrag festgesetzten Kohlelieferungen im Rückstand befände. Die französischen Truppen rückten in Werne, Lünen und Bork bis zur Lippe vor und besetzten am 25. Januar 1923 auch den Lüner Bahnhof.  Die Straßen wurden abgesperrt und Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Bald blühte ein eifriger Warenschmuggel zwischen besetztem und unbesetztem Gebiet. Die Reichsregierung rief zum passiven Widerstand auf. Die Beamten, die diesem Aufruf nachkamen, wurden ausgewiesen. So auch der Lüner Bürgermeister Bäcker. Arbeitern der Zechen wurde der Zutritt verwehrt, Betriebe aus dem Münsterland konnten im Ruhrgebiet ihren Aufträgen nicht mehr nachkommen.

Von diesen Maßnahmen wurden sicher auch die Baufirma Kortmann und viele Übbenhagener betroffen. Durch die Besetzung des Ruhrgebietes und dem Streik der Deutschen wurde die deutsche Wirtschaft und damit die Währung nun völlig zerrüttet. Am 06.08.1923 stand der Dollar bei 1.650.000,00 und am nächsten Tag bei 3.300.000,00 Papiermark. Dann ging es weiter in die Milliarden. Da die Druckereien mit der Produktion und der Auslieferung nicht mehr nachkamen, wurden die Scheine nun teilweise einfach mit einer höheren Wertziffer überdruckt und herausgegeben. Den Tiefstand erreichte die Geldentwertung am 15.11.1923, als der Dollar 4 Billionen und 200 Milliarden Papiermark kostete. In einem Währungsschnitt wurde über Nacht die Rentenmark eingeführt, die dem Wert von 1 Billion Papiermark entsprach. Durch Gesetz vom 30.08.1924 wurde sie durch die Reichsmark ersetzt, die auch bald wieder in Silbermünzen in Umlauf kam. Einen wesentlichen Beitrag zur Geldwertstabilisierung brachte auch Aufgabe des Ruhrkampfes und das Einlenken der Reichsregierung. Am 22. Oktober 1924 zogen die Franzosen daraufhin auch aus Lünen wieder ab.

In Folge der kommunistischen Aufstände im Ruhrgebiet wurde 1921 eine Hundert­schaft der Schutz­polizei auf Cappenberg statio­niert. Um diese unterzubrin­gen wurde das Gebäude des Cappen­be­rger Hofes beschlagnahmt. Nach Beendigung der bürgerkriegsartigen Unruhen blieben die Polizisten aber wegen des Einmarsches der Franzosen in Lünen weiter auf Cappenberg stationiert. Erst am 29. Oktober 1924 wurde das Gebäude beim Abzug der Polizei wieder geräumt.

Schützenfest 1925

„Helfe mir, Muse, zu preisen das Lob der gewaltigen Taten!“ so mochte der Chronist wie weiland Homer beten, ehe er seinen Bericht auf das Jubiläumsschützenfest von 1925 zu sprechen kam. In der Tat war dies die größte und aufwendigste und an Besuchern zahlreichste Veranstaltung, die Cappenberg je gesehen hat. Der Trend zu glanzvollen Festen lag damals im Zug der Zeit. Nach dem verlorenen Krieg und der nachfolgenden Inflation, die erst im November 1923 zum Stillstand gekommen war, war etwa von 1924 an eine Zeit des Aufstiegs und Wohlstandes angebrochen. Städte und Gemeinden suchten und fanden in ihrer Geschichte Jahreszahlen und Daten, die Grund zu Jubiläumsfeiern boten. So auch Cappenberg. Vor 800 Jahren war das Kloster gegründet und 100 Jahre waren verflossen, seit der Freiherr vom Stein in Cappenberg weilte. Ob dies nicht ein Grund zum feiern war? Unter dem Vorsitz von Alois Schulze Wischeler wurde den ganzen Winter und Frühling hindurch in unzähligen Sitzungen überlegt, geplant, organisiert, gerechnet und gebechert. An den Festvorbereitungen wirkte auch der junge Albrecht Graf von Kanitz mit, der kurz zuvor die Herrschaft Cappenberg geerbt hatte. Man beteiligte ihn, zu seinem späteren Verdruss, auch an der Bürgschaft, die einige prominente Cappenberger zur Sicherstellung der recht erheblichen Kosten für die Kostümausstattung des Festzuges übernommen hatten. Motto des ”Großen historischen Festzuges” war: Cappenbergs Schutz und Trutz im Wandel der Zeiten. In ihm bewegten sich Germanen, Sächsische Edelinge, Franken, Westfälische Ritter, Landsknechte, Münstersche Landmiliz, Jagdzug der Cappenberger Kapitularherren mit Hunden, Mädchengruppe im Reisewagen des Freiherrn vom Stein, Landsturm aus den Befreiungskriegen und der Freiherr vom Stein persönlich, dargestellt von Fritz Westermann. Tausende von Menschen säumten die Straßen. Die Schützen freuten sich über den guten Besuch. Weniger erfreulich war allerdings, dass nur wenige Besuche mit dem Festabzeichen versehen waren. Sie hatten sich trotz der Torwächter in mittelalterlicher Tracht mit polizeilichen Befugnissen und Ausweisen seitwärts durch die Büsche nach Cappenberg geschlagen. Das finanzielle Fiasko wurde von den Betroffenen Bürgen mit Galgenhumor und den nichtbetroffenen Schützen mit Würde getragen. Am Montag begann in Kreutzkamps Wiese, wo auch das Festzelt stand, mit frohem Mut das Vogelschießen. Albrecht Graf von Kanitz tat den Königsschuß. Als er die von Ihm erwählte Königin, Frau Ida Schulze Altcappenberg geb. Piekenbrock, mit dem Kutschwagen abholen wollte, hatte er Bedenken, sich seinem Fahrer Heinrich Roggenland, dem das lange Warten an der Vogelstange aufs Gemüt geschlagen war, anzuvertrauen. Seine Zweifel waren aber beseitigt, nachdem Heinrich mit dem Viererzug zwischen den Apfelbäumen hindurch hintereinander vier elegante Achten gefahren hatte.

Schützenfest 1936

Die dreißiger Jahre, in denen wieder ein Schützenfest fällig gewesen wäre, brachten für Deutschland einen allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang. Nach Beginn des NS-Regimes wurden alle Vereine gleichgeschaltet und aufgelöst. Doch die Schützen arrangierten sich mit den neuen Machthabern im Dorf auf der Grundlage beiderseitiger wohlwollender Neutralität, so dass im Jahre 1936 wieder ein Schützenfest gefeiert werden konnte. Das Fest wurde im Juli 1936 im kleinen Rahmen solide aufgezogen, indem man Kreutzkamps alte Veranda benutzte, an die zur Gartenseite ein kleines Festzelt angebaut wurde. Auf Einladung des alten Königs begann das Fest mit einem ausgiebigen Frühstück in den Räumen des Schlosses. Die Königswürde erlangte Josef Lohoff. Er wählte Hilde, die Tochter seines Nachbarn Max Aschhoff, zur Königin. Gelegentliche Regenschauer taten der Festfreude keinen Abbruch. Der den Cappenberger Schützen sehr zugetane Pfarrer Stephan Schnieder, gab nicht nur den ersten Schuss beim Vogelschießen ab, sondern war auch bei allen anderen Veranstaltungen dabei, solange es ihm seine Zeit und die Würde des Amtes es erlaubten.

Cappenberg und der 2. Weltkrieg

Wegen seiner geographisch günstigen Lage am Nordrand des Industriegebietes und auch wegen der sich im Schloß und der näheren Umgebung anbietenden Unterbringungsmöglichkeiten war Cappenberg seit Kriegsbeginn Sitz wichtiger Kommandostellen. Schon im ersten Kriegsjahr etablierte sich im Schloss unter Oberst von Hippel der Stab einer Flakbrigade, der die Luftabwehr zwischen Ruhr und Lippe anvertraut war.

So wurde Cappenberg zeitweilig Garnison. Der Wasserturm des Schlosses war mit einer ständigen Flugwache besetzt; um Cappenberg herum lagen an verschiedenen Stellen Scheinwerferbatterien, die des Nachts die anfliegenden Feindflugzeuge aufzuspüren hatten. Eine Scheinwerferstellung stand längere Zeit auf dem Weinberg, eine andere in der Nähe des Hofes Schürmann und eine dritte am „Krusen Bäumchen“ bei Übbert. Gegen Kriegsende waren die Flakstellungen vielfach mit dienstverpflichteten Frauen besetzt. Der Brigadestab verabschiedete sich nach etwa zweijährigem Aufenthalt von Cappenberg mit einem von der Regimentskapelle gespielten Großen Zapfenstreich. Nachfolgerin der Flak wurde eine Kommandostelle der Feuerschutzpolizei unter Major Witte. Die Einwohner der umliegenden Häuser fühlten sich durch sie einigermaßen geschützt bei den Gefahren, die durch die immer häufiger werdenden Luftangriffe entstanden. Die heute noch in den Cappenberger Wäldern zu sehenden Trichter beweisen, dass im Verlauf des Krieges viele Bomben gefallen sind.

Doch blieb Cappenberg von größeren Gebäudezerstörungen und Personenschäden verschont. Die erste Bombe, wohl ein reiner Zufallstreffer beschädigte im ersten Kriegsjahr das Haus von Eduard Möllmann in der Baltimora, wobei seine Schwester Frau Ellertmann eine Hand verlor und eine Wohnungsmieterin tödlich verletzt wurde.

Ein weiterer Angriff galt im Frühjahr 1944 der Scheinwerferstellung Schürmann. Er richtete aber nur mäßige Schäden an Unterkünften und an den umliegenden Gehöften an. Am 10. November 1944 schlug eine Fliegerbombe in ein Haus in der Rosenstraße ein, das zur Hälfte zerstört wurde. Opfer unter der Bevölkerung Cappenbergs waren hierbei nicht zu beklagen. Sehr lästig wurden in den letzten Kriegsmonaten die Jagdbomber der Alliierten. Sie beherrschten vollständig den Luftraum. Ein Jagdflieger der Luftwaffe wurde über Hassel beschossen und zerstörte bei der Notlandung eine Scheune des Hofes Lünemann. Der Pilot wurde von der SS unter dem Verdacht der Feigheit vor dem Feind verhaftet und bezichtigt, die Maschine selbst zum Absturz gebracht zu haben. Einzelflieger tummelten sich oft über Cappenberg und beschossen Bahnstrecken in der Nähe, Fahrzeuge auf den Straßen, Gespanne auf den Feldern, ja, sogar Einzelpersonen, die sich im freien Gelände bewegten. Unter diesen Umständen konnten die Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Anfangs wurde noch versucht, in Privathäusern kleine Unterrichtsgruppen aufrecht zu erhalten, bis auch dies wegen der ständigen Fliegeralarme nicht mehr möglich war. Nach dem Einmarsch der Alliierten blieben die Schulen noch weiter geschlossen bis zu der zuvor durchgeführten Entnazifizierung der Lehrpersonen. Erst Ende 1945 konnte der Unterricht wieder in vollem Umfang aufgenommen werden. Als letzte Dienststelle quartierte sich im Schloss noch ein Heerespropagandastab ein. Er hinterließ bei seinem Abzug ganze Wagenladungen von NS-Propagandamaterial, die Graf von Kanitz noch eben rechtzeitig vor dem Einmarsch der Alliierten in einem Bombentrichter vergraben lassen konnte.

Von besonderer Bedeutung war für die Cappenberger die Errichtung des „OT-Lagers“. Bei der Organisation Todt handelte es sich um ein Konstruktions- und Baubüro des Reiches, dem die Durchführung der kriegsbedingten Bauaufgaben wie z.B. dem Westwall oder dem Atlantikwall oblag. Gemäß dem in der damaligen Zeit üblichen Bestreben, sachliche Aufgaben mit Personen zu verknüpfen, war die Organisation nach ihrem Begründer, dem Ingenieur Todt benannt worden, der Anfang 1942 tödlich verunglückt war. Im Herbst 1944 erschien eines Tages der Führungsstab der Einsatzgruppe Frankreich, der nach der Invasion in den „Einsatzstab Ruhr“ umfunktioniert worden war. Es wurde, ohne den Grafen von Kanitz als Grundeigentümer auch nur zu fragen, im Südholz westlich der Straße nach Lünen mit dem Bau eines Lagers begonnen, das im Endstadium sieben Baracken, ein Wohnhaus und einen großen Luftschutzbunker umfasste.

Maßgebende Mitglieder dieser ca. 120 Mann starken Truppe waren Dipl. Ing. Müllejans, der mit seiner Familie das Holzhaus bewohnte, und der Baumaterialverwalter Hönnekens, der sich nach Kriegsende zuerst auf Cappenberg, dann in Altlünen in der gleichen Branche sesshaft machte. Die OT-Leute brachten außer ihrer Büroeinrichtung einen ungeheuren Vorrat – man sprach von 2 Millionen Flaschen – an Spirituosen, Wein und konservierten Lebensmitteln mit, die in den alten Brauereikellern des Gutshofes eingelagert wurden. Dies sagenumwobene Schnapslager der OT diente nach der Kapitulation manchem zur Freude, anderen zum Verhängnis. Den Cappenbergern wurde drei oder vier Tage vor Kriegsende noch ein „Kuckucksei“ ins Nest gelegt. Das Munitionslager der 9. Luftwaffenfelddivision wurde im Kohusholz eingelagert. Einen ganzen Tag bis spät in die Nacht lagerte man mit Hilfe der in der Nachbarschaft mobilisierten Kriegsgefangenen und Ostarbeiter viele tausend Panzerfäuse, Raketen und Granaten aller Kaliber von den heranrollenden Transporten an der Steinbahn im Kohusholz. Doch schon kurz darauf musste das Lager vor dem anrückenden Feind gesprengt werden. Ein gewaltiger Donnerschlag und ein ungeheures Getöse „läuteten“ in der Nacht zum Karsamstag für Cappenberg das Kriegsende ein. 40 bis 60 Morgen Wald wurden dabei verwüstet, obwohl Oberförster Freywald noch im letzten Augenblick von vielen Stapeln die brennenden Zündschnüre entfernt hatte. Die Restbestände der Munition übten später eine magische Anziehungskraft auf jungen Burschen aus Cappenberg aus, die sich daran verbotener Weise zu schaffen machten. Der 17 Jahre alte Sohn von Franz König, wurde dabei leider von einer explodierenden Granate getötet. Den ganzen Sommer 1945 zündete man an der Kreuzung im Kohusholz die schweren Blindgänger, die überall in der Umgebung ausgegraben hatte. Die dort befindlichen Wasserlöcher sind noch heute stumme Zeugen von den Detonationen die immer mittags das Dorf erschütterten.

Karfreitag hatte der Rest der auf Cappenberg verbliebene Männer noch ein tragikomisches Abenteuer zu bestehen: Volkssturm! Alle hatten Befehl bekommen, sich an der Schule zu stellen, und so traten ca. 25 Männer vor dem Polizeiwachtmeister und Ortsgruppenleiter Wenderoth, der dazu seinerseits von höherer Stelle Befehl erhalten hatte, mit Mundvorräten und Decken bewaffnet an. Wenderoth stellte sofort aus eigener Machtvollkommenheit Bauern, Melker, Feuerwehrmänner, Lebensmittelhändler usw. zur Versorgung der Bevölkerung frei. Der Rest sollte sich unter dem Kommando des ehemaligen Unteroffiziers Josef Dierse zum Sammelpunkt der zurückflutenden deutschen Armee in Richtung Paderborn durch den Wald in Marsch setzen. Vergeblich versuchte der unaufgefordert ebenfalls erschienene Oberstleutnant Graf von Kanitz, ihn von diesem Vorhaben abzubringen.

Doch die „wackeren“ Cappenberger hatten wohl begriffen, was Wenderoth mit dem mehrfach betonten Zusatz „durch den Wald“ hatte sagen wollen. Sie marschierten also los durch den Wald und nahmen in ihm „volle Deckung“ bis zum Kriegsende, das für Cappenberg am folgenden Tag eintrat.

Karsamstag wehten an allen Häusern auf Cappenberg weiße Fahnen und die amerikanische Panzerspitze rückte kampflos ein. Sie kam nicht, wie erwartet, von Westen her, sondern von Norden über Selm und Südkirchen. General Montgomery hatte mit seinen Heeresgruppen, von Remagen und Wesel ausgehend, das Ruhrgebiet in einer gewaltigen Zangenbewegung umfasst. Kurz vor dem Einmarsch hatte auch der letzte OT-Mann, Bormann mit Namen, der das Schnapslager bewachen hatte, Cappenberg verlassen. Alles, was weit und breit davon Wind bekommen hatte, stürzte sich nun auf die Vorräte. Deutsche Soldaten, Polen und Russen, Einheimische und Auswärtige, Männer, Frauen und Kinder trugen davon soviel sie nur tragen konnten. Ein Leutnant mit seiner in Lünen liegenden Truppe konnte gerade noch in seinem Kübelwagen entkommen, als bei Kreutzkamp die ersten Panzer um die Ecke bogen. Doch als Herr Jucho, Inhaber einer bekannten Dortmunder Brückenbaufirma, bei der alten Oberförsterei mit seinem Wagen in die Pappelallee einbiegen wollte, geriet er in eine MG-Garbe der vorrückenden Panzer. Ihn traf es tödlich, sein Begleiter Herbrechter wurde schwer verletzt. Augenzeugen berichteten, daß Jucho vom Brauereiknapp Richtung Kreutzkamp fahren wollte. Als er die Panzer um die Ecke biegen sah, versuchte er rückwärts zu entkommen. Daraufhin eröffneten die Panzer das Feuer. Gesehen wurde dies von einigen Cappenbergern, die sich in nächster Nähe in den Gräben und hinter Hecken befanden und auch auf dem Weg von der Brauerei zum Dorf  waren.

Am Ostermorgen, dem 1. April 1945, bot Cappenberg bei strahlendem Sonnenschein ein ebenso kriegerisches wie friedliches Bild. Panzer und sonstige Militärfahrzeuge waren in Kreutzkamps Appelhof und auf allen Wegen und Plätzen aufgefahren. Dazwischen standen die Kinder und ließen sich von gutmütigen farbigen Soldaten mit Süßigkeiten beschenken, die sie in den Kriegsjahren nur noch vom Hörensagen her kannten. Ostarbeiter mit vollen Flaschen taumelten durch die Straßen und spendeten freigiebig den Deutschen, die von dem „OT-Segen“ leer ausgegangen waren. Überall herrschte Freude und Erleichterung über das Ende des Bombenkrieges und die sonstigen Kriegsmühsale. Aber schlimme Zeiten standen noch bevor.

Die zahlreichen Arbeitskräfte, die die deutsche Führung zur Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft aus den besetzten Gebieten hereingeholt hatte, wurden nun zur Plage. Sie waren nicht wie die Kriegsgefangenen in Lagern eingsperrt gewesen, sondern durften sich in begrenztem Umfang frei bewegen. Sie betrachteten sich nun als von den Alliierten befreit. Von der Besatzungsmacht wurden sie nach Volkszugehörigkeit bis zu ihrem Abtransport in Lagern untergebracht.

Auf Cappenberg bot sich dazu das frei gewordene OT-Lager im Südholz an, das mit Polen belegt wurde. Diese überfielen nun einsam gelegene Gebäude und Höfe. Da den Deutschen jeglicher Waffenbesitz bei Todesstrafe verboten war, versuchten sich die Bauern mit mittelalterlichen Methoden zu wehren. In den Erdgeschossen der Häuser wurden allabendlich Fenster und Türen mit Holz verbarrikadiert, an den darüber liegenden Fenstern Pflastersteine und kochendes Wasser zur Abwehr der Angreifer bereitgehalten. Teilweise baute man an den Aufgängen zu den oberen Stockwerken der Häuser Eisentüren ein, um Eindringlinge von den Schlafzimmern der Frauen und Kinder fernzuhalten. Die nunmehr englischen Besatzungstruppen kümmerten sich wenig um die Not und Angst der Menschen vor nächtlichen Überfällen. Um Plünderer zu vertreiben wurden Lampen so konstruiert, dass sie den Scheinwerfern von Militärjeeps bei Nacht ähnelten. Nachdem Belgier auf Wache standen, hörten die Überfälle auf.

Zu den weiteren Nachkriegsplagen gehörte auf Cappenberg die Einquartierung. Die amerikanischen Panzerspitzen hielten sich nur drei oder vier Wochen auf. Sie nahmen die Reste des Schnapslagers, das sie unter Verschluss genommen hatten, mit. Ihnen folgten Belgier, dann Engländer. Fast alle Häuser im Ortskern in der Woche nach Ostern 1945 binnen einer Stunde geräumt werden. In der Villa Ebrecht, damals Versen, richtete sich die Kommandantur ein. Die Eigentümer mussten sich in Abstellräumen, Dachböden und Ställen Notunterkünfte suchen. Zum Unglück wohnten hier zur Zeit auch noch viele Bombengeschädigte aus dem Ruhrgebiet. Der sonntägliche Frühschoppen fand monatelang in Kreutzkamps Brennerei statt. Sie war zu der Zeit außer Betrieb. Statt alkoholischer Getränke gab es Suppe. Das Schloss hatte die Royal Air Force belegt, die Schlossbewohner fanden ihre Bleibe in der Villa Bolte-Heinersdorf. Die Engländer benahmen sich allgemein korrekt, was man von den Belgiern nicht gerade behaupten konnte. Die Einquartierung dauerte noch während des ganzen Jahres 1945 an. Erst im Januar 1946 wurden die letzten Häuser wieder frei. Nach und nach fanden sich auch die Kriegsteilnehmer, die in Gefangenschaft geraten waren, wieder zuhause ein; als letzter von ihnen der Schmiedemeister Willi Aschhoff im Dezember 1949. Die Kriegsverluste waren hoch, 68 Gefallene und Vermisste hatte das Dorf zu beklagen. Ihrer gedenkt der Schützenverein alljährlich am Volkstrauertag und in einer Feierstunde bei den Schützenfesten.

Die Wiederbegründung des Schützenvereins Cappenberg 1953

Im Jahre 1953 fanden sich in Cappenberg eine Handvoll „alter“ Schützen zusammen, um den Schützenverein nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder zu begründen.

Der langjährige Vorsitzende des Schützenvereins Cappenberg, Dr. Fritz Schulze Wischeler, beschreibt die Wiederbelebung des Schützenwesens auf Cappenberg in seinem Buch „1200 Jahre Cappenberg“ mit folgenden Worten: „Der Schock, den der 2. Weltkrieg den Schützen versetzt hatte, konnte nur langsam überwunden werden. Das Schützenwesen beinhaltet außer heimatlichen, sportlichen und geselligen Bestrebungen seiner Natur und Tradition nach auch eine militärische Komponente und die war unmittelbar nach dem Krieg aus verständlichen Gründen nicht mehr gefragt.“

Trotzdem unternahmen einige ältere Schützen den Versuch, den Schützenverein wieder ins Leben zu rufen. Benachbarte Ortschaften waren bereits beispielgebend vorangegangen. Über eine Sitzung im Dorf berichtet Heinrich Schmiers folgendes: „Nachdem im ersten Halbjahr 1953 bereits zwei Vereine gegründet worden waren, nahm auch Dr. Fritz Schulze Wischeler, der zu diesem Zeitpunkt bereits Vorsitzender der Heimatvereins war, seine Vorbereitungen auf. In einer Versammlung, zu der er eingeladen hatte, waren alle ehemaligen Soldaten und Kriegsgefangene des 2. Weltkrieges vertreten. Nach einem gemeinsamen Abendessen, dessen Sponsor nicht bekannt war, wurde deutlich, dass die Wiederbegründung des Schützenvereins bevorstand. Unmittelbar danach fanden in einem bereits geschaffenen Arbeitskreis die ersten Zusammenkünfte statt.“ In der Wohnung von Elektromeister Paul Aschhoff, dem späteren Schützenkönig, kamen laut Schulze Wischeler einige Cappenberger zu einer „fast verschwörerischen Geheimsitzung“  zusammen. Heinrich Schmiers erinnert sich, dass neben ihm als Vertreter der Verbandes der Heimkehrer folgende Cappenberger um Mitarbeit gebeten wurden: Küster und Organist Franz Gottschalk, Oberförster Werner Kloß und der Landwirt Heinz Schulze Altcappenberg. Bevor es soweit war, galt es jedoch den Verein formell wieder ins Leben zu rufen. Schulze Wischeler beschreibt der Vorgang in seiner humorvollen Art: „In der nächsten Versammlung des Heimatvereins wurde absprachegemäß von den Beteiligten, die im Saale Kreutzkamp verteilt saßen, der Vorschlag zur Wiederbegründung des Schützenvereins gemacht und siehe da, der Streich gelang.“ Danach wurde in einer eigens dazu einberufenen Versammlung am 23. Januar 1954 der Schützenverein neu gegründet.

Auf dieser Versammlung wurde der Vorstand gewählt. Vorsitzender: Dr. Fritz Schulze Wischeler, Stellvertreter: Theodor Dierse, Geschäftsführer: August Kortmann und Franz Gottschalk, Schriftführer: Rudolf Gottschalk und Theodor Heckenkamp. Diskutiert wurde der Termin des Schützenfestes und die Frage welche Art von Uniform man tragen wolle. Holzgewehre waren noch von 1936 vorhanden, sollten jedoch nur von der Wache getragen werden.

Von einer Vorstandssitzung am 27. Februar 1954 existiert ein Protokoll. Es wurden nunmehr Vorschläge für die Besetzung der Offizierspositionen unterbreitet sowie der Festtermin und Ablauf weiter diskutiert. Auf einer Versammlung am 13. März 1954 beschloss man den 27. Juni als Festtermin und legte den Ablauf fest. Jeder Schützenkamerad sollte sich zunächst einen Hut anschaffen, der ohne Federschmuck auch „alltagstauglich“ sein konnte. Zum Oberst wurde Heinz Schulze Altcappenberg, der damals übrigens noch Wethmar hieß, Oberstleutnant Oberförster Werner Kloß, und Major Franz Vinnemann, der heute Übbert heißt.

Über das Vorfeld des Schützenfestes und das Fest selber gibt es einen wunderbaren Film. Spielorte sind der Tresen bei Aschhoff und Kreutzkamp. Hauptakteure das Planungskommitee mit durch meinen Vater frisch gezapftes Bier. Eine der wunderbarsten Szenen hat als Hauptdarsteller meinen damals 89-jährigen Großonkel Leopold Dahlkamp, der konstatiert: „Et mött wat mak`t wiärn!“ worauf ihm Hubert Dortmann antwortet. „Schützenfest!“ Da es sich um einen Stummfilm handelt, finden sich die Aussagen auf Texttafeln.

Die gute Vorarbeit des Arbeitskreises führte dazu, daß 1954 dann das erste Schützenfest der Nachkriegszeit auf Cappenberg gefeiert werden konnte.

Schützenfest 1954

Die Anfänge des Vereins waren sehr bescheiden und seine Aufmachung zu Beginn recht kümmerlich. Uniformen gab es noch nicht, nur einheitliche Federn an den Hüten. Die Rangabzeichen wurden auf dem Zivilanzug getragen. Auch die alte Fahne, auf der die Jahreszahl 1830 und eine Schießscheibe mit gekreuzten Gewehren prangte, war im Krieg verloren gegangen, so daß eine neue Fahne zunächst billig zusammengenäht wurde. Diese Fahne ist nunmehr auch schon ein Erinnerungsstück der Gründungsjahre. Auf ihr ist das Wappen der Herrschaft Cappenberg, die Steinsche Rose in Kombination mit dem Wappen der Cappenberger Grafen bzw. des Klosters, zu sehen.

Josef Lohoff stand als „alter König“ 1954 nicht zur Verfügung, da er nicht mehr auf Cappenberg lebte. Er starb aber erst am 1. Januar 1991 in Dillingen/Saar. Beim ersten Tag des Schützenfestes präsidierte Hilde Aschhoff daher alleine als Königin. An ihrer Seite stand Franz Vinnemann als Prinzgemahl. Das Diadem der Königin musste 1954 bei einem Nachbarverein ausgeliehen werden. Nur die Schützenkette war noch vorhanden. Die heutige Königskette stammt aus dem Jahre 1925. Auf den Rückseiten der einzelnen Medaillen finden sich Gravuren mit den Namen der Spender aus Cappenberg und Langern. Ursprünglich diente die Kette zum Schmuck des „Freiherrn vom Stein“ beim Festzug des Schützenfestes 1925, der von Fritz Westermann, dem Großvater unseres „Vögelbauers“ Heinz Westermann dargestellt wurde. Seit diesem Jahr wuchs die Königskette bis auf die heutige Größe. Die erste Ergänzung fand sie durch das Königspaar von 1936. Der Stern im Zentrum der Königskette geht auf die Majestäten Josef Lohoff und Hilde Aschhoff zurück. Dass es 18 Jahre bis zum nächsten Schützenfest auf Cappenberg dauern würde, dachte zu diesem Zeitpunkt wohl niemand.

Nach der Wiederbegründung traten gleich eine ganze Reihe alter Schützen und viele neue Mitglieder dem Schützenverein bei. Von diesen haben folgende Kameraden dem Verein bis zum heutigen Tage die Treue gehalten: Bernhard Asshoff, Heinrich Benning, Bernhard Böcker, Willi Dierse, Norbert Fehring, Alfred Grieseholt, Berni und Heinz Hörstrup, Clemens und Paul Jücker, Klaus Kindt, Anton und Josef Kohushölter, Wilhelm Lunemann, Aloys Orlowski, Josef Reissing, Karl-Heinz Roggenland, Norbert Rottmann, Heinrich Schmiers, Wilhelm Schroer, Aloys Siegeroth, Josef Steinhoff, Franz Übbert, Wilhelm Vieter und Erwin Würminghausen.

Über den Festverlauf des Schützenfestes 1954 berichtet Dr. Fritz Schulze Wischeler: „Erster Nachkriegsschützenkönig auf Cappenberg wurde der Elektromeister Paul Aschhoff, als er am 28. Juni 1954 der Vogel abschoß. Er erwählte Maria Vinnemann geb. Übbert zu seiner Schützenkönigin. Den älteren Schützen ist noch gut in Erinnerung, wie der damals 75jährige Vater der Königin, Albert Übbert, das Bataillon bei der Abholung der Königin vor seinem altehrwürdigen Bauernhause freundlich begrüßte. Übbert hat diesen Tag noch um 27 Jahre überlebt. Zum ersten mal seit 1925 fand dieses Schützenfest in größerem Rahmen statt. Das große Festzelt auf Kreutzkamps Wiese gehörte zu den schönsten und besten, die damals zu haben waren. Für Musik zu allen Veranstaltungen inklusive Königsschießen sorgten die Blaskapelle Semmler aus Dortmund und der Spielmannszug Grün-Weiß aus Werne. Ein Bier kostete damals 40 Pfennige, ein Kreutzkämper Korn 30 Pfennige und eine Flasche „Lorcher Kapelle 1953“ 3,80 DM im Ausschank. Das noch vorhandene Festprogramm gibt uns Aufschluss über den Ablauf des Festes. Paul Aschhoff bewährte sich gut als Schützenkönig. Als er nach einigen Mühen den Vogel abgeschossen hatte, war sein erstes Wort: „Kameraden, nun geht recht bald nach hause, damit ihr zum Festzug pünktlich zur Stelle seid!“ 

Nach dem Empfang der auswärtigen Vereine erfolgte die Königskrönung mit anschließendem Festzug durch das Dorf und Festkonzert im Zelt. Der abendliche Festball endete um 23 Uhr mit einem Großen Zapfenstreich. Der Montag war geprägt von einem musikalischen Frühschoppen sowie einem Kaffeetrinken für die Damen und einer Kinderbelustigung mit Konzert. Das Schützenfest endete mit dem Königsball.

Am Morgen nach dem Fest – es war eine herrliche Sommernacht gewesen – fanden sich noch einige Unentwegte im Hause des Königs zum Kaffeetrinken ein, von da ging es dann zum Gasthaus Waldfrieden, wo schon für den Empfang von zahlreichen auswärtigen Besuchern zum Peter- und Paulstage gerüstet war. An die 20 Schützen fanden sich nach und nach mit ihren Damen ein und es floss viel Sekt an diesem Morgen.

Ganz nebenbei erfahren wir von der Wiederaufnahme einer Tradition des Cappenberger Schützenfestes, die heute gar nicht mehr wegzudenken ist und sich über die Jahre immer größerer Beteiligung und Beliebtheit erfreut. Der Ausklang unseres Schützenfestes am Dienstag wird „Klafterkompanie“ genannt.  Schon beim Schützenfest 1936 trat eine Klafterkompanie an. Das Aussehen damals und heute erst recht, zeigt dass es an diesem Tag mit dem militärischen Drill nicht mehr so genau genommen wird. Die Parade wird mit Knüppeln und Stöcken jeder Art abgenommen. Als Kavallerie wird ein Holzpferdchen auf Rädern mitgeführt, das dem hochbetagten Altersvorsitzenden oder dem weniger betagten Ehrenoberst schon mal als Ruhepunkt diente. Eine Eierpalette wurde unter Zuhilfenahme eine Heuforke zum Baldachin. Die letzten „Überlebenden“ des Krönungsballs vom Montag oder Frühaufsteher treffen sich mit allen weiteren, die im Laufe des Tages hinzustoßen, um, zunächst auf der Festwiese und dann überall im Dorf die Fahnen einzuholen und einen netten Ausklang zu feiern. Seit mehreren Jahren lassen es sich unsere Prämonstratenser nicht nehmen, die Klafterkompanie am Pfarrhaus mit Glockengeläut und einer launigen Begrüßungsrede zu empfangen, die auch schon einmal in dem Spruche mündete: „Herrgott laß Deinen Segen über unsern Hofstaat fegen!“

 

Dr. Franz-Peter Kreutzkamp

Quellen:

Stephan Schnieder Cappenberg 1149-1949
  Münster 1949
Dr. Fritz Schulze Wischeler Festschriften des Schützenvereins Cappenberg
  1967,1970, 1973, 1976, 1979, 1982, 1985, 1988
ders. 1200 Jahre Cappenberg
  Cappenberg 1991
Dr. Franz-Peter Kreutzkamp Festschriften des Schützenvereins Cappenberg
  1991, 1994, 1997, 2000, 2003, 2006, 2009, 2012, 2015, 2018
ders.     Bauernbefreiung auf Cappenberg
  Münster 2003
Archive: Archiv Graf von Kanitz, Schloss Cappenberg
  Bestände A und C
  Nordrhein-Westfälisches Landesarchiv
  Diverse Bestände

 

Zeitgenössische mündliche Überlieferungen beteiligter Personen